Gelegenheitsmarken des Berliner jüdischen Jargontheaters der Gebrüder Herrnfeld

Jürgen Gottschalk

1928 gab Rudolf Tramnitz im Leitartikel zum ersten Heft einer von ihm in Bernburg begründeten Zeitschrift /1/ eine Definition der 1855 aus den Siegelmarken entstandenen, mit dem Jahr 1870 als „Gelegenheitsmarken“ bezeichneten kleingraphischen Kunstwerke. Danach sieht er sie als Teil der Reklamemarken an, die jedoch in Beziehung zu einem bestimmten Ereignis stehen, etwas ankündigen oder an etwas erinnern.  Weiterhin unterscheidet Tramnitz in Siegelmarken (Briefverschlussmarken), Agitations- und  Werbemarken, Wohlfahrts- und Fürsorgemarken, Militärmarken und Propagandamarken und weist auch auf mögliche Überschneidungen bei der Zuordnung hin. Als erste Gelegenheitsmarke kann die 1870 in Graz zur Landesausstellung herausgegebene Ausgabe gelten. Anfang der 30er Jahre gab es Vereine, Zeitschriften und Kataloge für dieses Sammelgebiet, welches für den Bibliophilen auch durch die Vielzahl von Marken zum Thema Buch, Kinderbuch, Buchautoren, Verlage, Buchhandlungen aus der Zeit des Kaiserreiches und der Weimarer Republik äußerst attraktiv ist, auch wenn es nach 1945 fast unbeachtet blieb. Ihrer äußeren Form nach waren sie wie Briefmarken gestaltet und wurden deshalb auch in manchen Fachzeitschriften der Philatelie mitbehandelt. Tramnitz schätzte um 1930 das Gesamtaufkommen der quantitativ an erster Stelle stehenden deutschen Produkte dieser Art auf ca. 12.000 Marken ein. Eine Zahl, die sich aus heutiger Sicht noch erhöhen ließe. Er benutzte den Begriff von der „Kleinplakat-Industrie“, die er als Zweig des deutschen Kunstgewerbes ansah. Diese (Miniatur)Werbeplakate reichen von Darstellungen höchsten künstlerischen Niveaus – vgl. die Gelegenheitsmarken des bedeutenden Plakatkünstlers Ludwig Hohlwein /2/ - bis hin zu Kitsch und Banalem. Anzumerken ist die Tendenz mancher Herausgeber zur Verkleinerung Ihrer Werbeplakate auf das Format der Gelegenheitsmarke. Als Sammelgebiet ist es seit 1897 in der Fachpresse postuliert /3/ und in neuester Zeit durch den Antiquar Veikko Jungbluth in Eichwalde bei Berlin wieder popularisiert worden /4/.

Seit dem Gründungsjahr 1890 machte das erste Berliner jüdische Jargontheater der zum evangelischen Glauben konvertierten gebürtigen Ungarn Anton und Donat Herrnfeld Furore. Zuvor konnten sie einschlägige Erfahrungen als Gründer der „Budapester Orpheum-Gesellschaft“ sammeln. Von der Antisemitenpresse empfohlen und in jüdischen Kreisen sehr zwiespältig betrachtet, hatten sie mit ihrem am Berliner Alexanderplatz befindlichen Theater, welches sogar einen eigenen U-Bahn-Zugang hatte, dennoch eines: Erfolg! In der Folgezeit bis zum Tode von Donat Herrnfeld im Jahre 1916 bewarben die Gebrüder Herrnfeld ihr Theater mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Reklamekunst.

Ihre von 1906 bis 1916 als „Theater in der Kommandantenstraße“  bekannte Bühne war inzwischen in der Kreuzberger Kommandantenstraße 57 (später 58/59) – das Grundstück ist heute Teil der Otto-Suhr-Siedlung – ansässig. Das 1935 leerstehende Gebäude wurde zum Theater des Jüdischen Kulturbundes bis zu dessen Auflösung durch die Nazis im Jahre 1941. Die Reste des 1944 zerstörten Gebäudes wurden 1953 gesprengt.

Mit dem Einsatz des relativ neuen Mittels der Gelegenheitsmarke/Werbemarke waren die Herrnfeld-Brüder auf jeden Fall en vogue und hinterließen der Nachwelt ein kleingraphisches Kabinettstückchen der Darstellung ihrer selbst in prachtvollen fotografischen Porträtstudien. Zwar interessiert sich so mancher Bibliophile für Kleingraphik, Neujahrsgraphik und Exlibris-Kunst, dabei  ist ihm doch die Gelegenheitsmarke als Gegenstand der  Gebrauchsgraphik wohl völlig aus dem Blickwinkel geraten.

So edierten die Herrnfelds 1913 zur Bewerbung ihres Bühnenstückes „Was halten Sie von Leibusch?“ eine Serie von zwölf Gelegenheitsmarken, jeweils sechs mit szenischen  Porträtstudien von Anton und von Donat Herrnfeld, jede Marke mit einem rot gedruckten grafisch gestaltetem Rahmen versehen.

 

Abbildung 1: Serie von zwölf Gelegenheitsmarken des Herrnfeld-Theaters zur Bewerbung

                      des 1913 aufgeführten Stückes „Was halten Sie von Leibusch?“

 

Diese Marken sind der Fachliteratur zum jüdischen Theater in Berlin nicht bekannt /5/.

Kurt Tucholsky hat das naturalistische Stück unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel  in der Schaubühne ausführlich rezensiert /6/. Der Plott: Alter reicher Kracher will heiraten; die Großfamilie fürchtet den drohenden Erbverlust an die zukünftige Frau und das zu erwartende Kind. Doch Vermögen und Großherzigkeit des Alten ist groß genug. Er gibt reichlich  mit warmer Hand. Trotzdem: als alle zusammen an der Hochzeitstafel sitzen, bricht die Gier wieder aus, gekennzeichnet durch ein zum geflügelten Wort gewordenen Ausspruch von Karl Kraus „Das Wort Familienbande hat einen Beigeschmack von Wahrheit“.

Mit dem jüdischen Jargon-Vortrag, dem mauscheln = jüdeln, ernteten die Gebrüder Herrnfeld vor allem vor nichtjüdischem Publikum größte Lacherfolge. Ein in etlichen Auflagen verbreitetes jüdisches Witzbuch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg /7/ gestaltete diese Tatsache in einer satirischen Anzeige.

 

Abbildung 2: Satirische Anzeige auf das jüdeln im Herrnfeld-Theater

 

Edmund Edel, Verfasser des 1909 in Berlin erschienenen Werkes „Der Witz der Juden“  bewertete diese Erfolge vor nichtjüdischem Publikum mit den Worten: „Sie lachen unten im Parkett nur über die groben judenfeindlichen Effekte und verstehen das wirkliche jüdische Wesen, das in einzelnen Bewegungen furchtbar komisch wirkt, absolut nicht“/8/.

Beispiele für den Humor der Gebrüder Herrnfeld finden sich in einem von Anton Herrnfeld herausgegebenen Sammelband /9/, während ein Artikel in der „Jüdischen Rundschau“ vom 28.2.1908 unter der Überschrift „Die antisemitischen Gebrüder Herrnfeld“ das gespaltene Verhältnis der jüdischen Gemeinschaft zum Herrnfeld-Theater zum Ausdruck bringt. Auch das Blatt des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens „Im deutschen Reich“ warnt hinsichtlich der Herrnfelds vor der Unterfütterung mit antisemitischen Klischees.

 

Anmerkungen

 

(1)    Die deutschen Gelegenheitsmarken: Blätter für Sammler. Hrsg. V. Rudolf Tramnitz. Bernburg 1928. 1. Jg. (MNE). Seperatabdruck: Tramnitz, Rudolf: Die deutschen Gelegenheitsmarken. Was sie sind und wie sie entstanden. Bernburg: Selbstverlag (1930). 8 S. – Tramnitz ist als Autor mehrerer Länder-Kataloge von Gelegenheitsmarken hervorgetreten. Weiterhin wichtig: „Das blaue Blatt“: Internationaler Anzeiger für Philatelie und Ansichtskartenwesen: Organ für Gelegenheitsmarken- und Siegelmarken-Sammler. Stolberg: Peter Mathes 1899-1914. – Illustrierter Katalog von offiziellen Ausstellungs- und Gelegenheitsmarken. Berlin: Globus-Verlag (1913). 86 S.

(2)    Kiddle, Charles: Ludwig Hohlwein: poster stamps. Alton: World Poster Stamps 1998. 64 p. – Der britische Autor ist Verfasser mehrerer thematischer Kataloge zum Thema “Gelegenheitsmarken”

(3)    Der Leipziger Walter Fiedler veröffentlichte 1898 ein erstes noch unvollständiges Vordruck-Sammelalbum. Parallel dazu erschien von 1898-1899 die von ihm herausgegebene Fachzeitschrift „Die Ausstellungsmarke“

(4)    Jungbluth, Veikko: Reklamemarken-Katalog Berlin. Eichwalde: Jungbluth 2007. 230 S. 4.500 Farbabbildungen – weitere Kataloge und Infos unter http://www.veikkos.com

(5)    Als wohl wichtigstes Werk: Sprengel, Peter: Populäres jüdisches Theater in Berlin von 1877 bis 1933. Berlin: Haude & Spener 1997. Neuerdings über das Herrnfeld-Theater: Otte, Marline: Jewish Identities in German Popular Entertainment, 1890-1933. Cambridge: University Press 2006. 317 S., hier S. 125.

(6)    Wrobel, Ignaz: „Die Schaubühne“ v. 9.10.1913, Nr. 41, S. 978.

(7)    Jossel, Chaim: Schabbes-Schmus. Schmonzes Berjonzes. 26. Aufl. Berlin: Hermann Seemanns Nachf. 1907. 149 S., hier S. 93.

(8)    Edel, Edmund: Der Witz der Juden. Berlin: Louis Lamm 1909. S. 55.

(9)    Herrnfeld, Anton: Herrnfeld-Humor. Eine Sammlung der besten Anekdoten, Scherze und Humoresken von Anton Herrnfeld, Direktor des Herrnfeld-Theaters in Berlin. 6. Tsd. Berlin: Globus-Verlag 1926. 176 S. Oktav. Glwd. m. Goldprägung. Weiterhin: Anton u. Donat Herrnfeld: Was tut sich? Berlin: Baum o.J. 1. Aufl., 2.Aufl. 1914, 3. Aufl. 1916. 140 S. Oktav.